Verjüngt, Verformt, verloren
The Substance und der Horror der ewigen Selbstoptimierung
„I refuse to apologize for growing up“. Die Schauspielerin Millie Bobby Brown wurde durch ihre Rolle als Eleven in der Netflix-Serie Stranger Things über Nacht bekannt, damals war sie gerade einmal zwölf Jahre alt. Heute sieht sich die 20-Jährige mit Artikeln konfrontiert, die meinen ihr Äußerliches beurteilen zu müssen. Ihr Älter-Werden wird zum Gegenstand öffentlicher Debatten und damit ist sie leider nicht alleine. In einem auf Instagram und TikTok veröffentlichten Statement thematisiert sie den Druck, dem vor allem Frauen gesellschaftlich ausgesetzt sind. Was eigentlich selbstverständlich sein sollte wird besonders in den sozialen Medien zunehmend als Makel betrachtet. In unserer digitalen Öffentlichkeit scheint Jungendlichkeit nicht mehr nur ein weiteres Schönheitsideal zu sein, sondern eine Grundvoraussetzung. Wer altert hat bereits die Kontrolle über sich selbst verloren, wer hingegen jung aussieht bleibt sichtbar, relevant und begehrenswert.
In Coralie Fargeats zuletzt erschienenen Film wird diese absurde Prämisse zum Leitmotiv. The Substance verhandelt auf satirische Weise die gesellschaftlich weit verbreitete Angst vor dem Alter(n) und einen damit verbundenen Kult um ewige Jugend. Anhand von Body-Horror-Elementen und einer hochartifiziellen Ästhetik macht der Film deutlich, dass Alter(n) in unserer westlichen Gesellschaft vor allem über den Zerfall des menschlichen Körpers gemessen wird. Obwohl The Substance durch seine surrealistischen Elemente an manchen Stellen durchaus einen gewissen Grad an Absurdität erreicht, schafft der Film es dennoch uns als Betrachter*innen den Spiegel vorzuhalten und uns mit der grotesken Haltung unserer Gesellschaft zu konfrontieren. Dieser Essay untersucht, inwiefern The Substance die Angst vor dem Alter(n) aufgreift und bis ins Groteske übersteigert.
Die ewige Selbstoptimierung
Weibliches Alter(n) wird in The Substance zu einem gesellschaftlichen K.O.-Kriterium. Darauf deutet bereits die Ausgangssituation des Films hin: Die einst erfolgreiche Schauspielerin Elisabeth Sparkle (Demi Moore) wird an ihrem 50. Geburtstag aus ihrer eigenen Aerobic-Sendung Sparkle Your Life entlassen. Und das nicht etwa weil ihre Leistung nachgelassen hat, sondern schlichtweg, weil sie zu alt geworden ist. Elisabeths Chef, der deutlich älter zu sein scheint als sie selbst, teilt ihr mit, dass „mit 50 alles aufhört“ — was er damit genau meint, weiß er scheinbar aber selbst nicht. Die Entertainment-Branche, in der Elisabeth sich Zeit ihres Lebens bewegt hat, erträgt kein Alter(n), vor allem dann nicht wenn man weiblich ist. In dieser medial vermittelten Welt ist der Körper schon längst nicht mehr Ausdruck von Persönlichkeit, sondern ein Produkt, das es stets zu verändern, optimieren und ersetzen gilt.
Genau das scheint wiederum die titelgebende „Substance“ zu versprechen. Einmal injiziert bringt das giftgrüne Serum eine neue Version deines Selbst hervor. Jünger, schöner, makellos. Besonders für Elisabeth scheint „The Substance“ ein Licht am Ende des Tunnels zu sein, eine echte Chance der Selbstverwirklichung. Endlich wieder jung sein. Das Nonplusultra der Selbstoptimierung, so könnte man meinen. Die Protagonistin entscheidet sich, wenig überraschend, für eine Anwendung des ominösen Mittels. Doch was zunächst ein Akt der Selbstermächtigung zu sein scheint, entpuppt sich schon bald als wahr gewordener Albtraum. Elisabeths neue Version, Sue (Margaret Qualley), ist nicht einfach nur eine jüngere ihres Selbst, sondern entwickelt schnell ein Eigenleben. Ihre Persönlichkeit steht in einem Gegensatz zu der von Elisabeth, sie ist aggressiv, gewaltvoll und von sich selbst gänzlich eingenommen. Der Film macht damit deutlich, dass man sich in der ewigen Suche nach einem besseren Selbst, schnell selbst verlieren kann. Der krankhafte Wunsch nach Selbstoptimierung führt nicht zu einer Befreiung, sondern führt lediglich zur völligen Selbstentfremdung. The Substance veranschaulicht diesen Prozess in radikalen Bildern, die bis ins Monströse kippen. Deformierte Körper prallen auf entstellte Gesichter und blutige Gewaltakte.
Es ist bemerkenswert, dass Coralie Fargeat sich in ihrer Inszenierung besonders auf den weiblichen Körper fokussiert. Damit kritisiert The Substance nicht nur genormte Ideale an sich, sondern macht vor allem auf die Geschlechterdifferenz innerhalb dieser Thematik aufmerksam. Während männliches Alter(n) häufig mit Weisheit, Reife oder Macht assoziiert wird, müssen sich alternde Frauen mit Unsichtbarkeit, Unterrepräsentation oder gesellschaftlichem Ausschluss konfrontiert sehen. Es ist daher keine sonderlich große Überraschung, dass Elisabeth sich für eine Anwendung des ominösen Mittels entscheidet. Ihre Handlung ist lediglich ein Symptom gesellschaftlichen Versagens; die logische Folge in einem System, das Frauen nur dann Beachtung schenkt, wenn sie einem ästhetischen Ideal entsprechen.
Zerfall als Befreiung?
Sue (Margaret Qualley) beginnt die „Substance“ für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen. Die Zeit die sie auf der einen Seite mehr verbraucht, wird von Elisabeths Seite genommen. Die Folge: erst ein alternder Finger, dann ein deformiertes Bein, bis hin zum völligen körperlichen Kollaps. Je erfolgreicher Sue wird, desto tiefer stützt Elisabeth in ein Loch des Selbsthasses. Nur eine Frau schafft es, diesen innerlichen Zustand der Selbstverachtung so eindrücklich in Szene zu setzen. Nur eine Frau weiß, wie es sich anfühlt, wenn der eigene Blick immer und immer wieder in den Spiegel wandert und da doch noch ein weiterer Makel zu finden ist.
Fargeat überführt ihre Protagonistin schließlich in einen Zustand völliger Verwahrlosung. In ihrer Inszenierung erinnert Elisabeth damit stark an die Figur der Sara Goldfarb (Ellen Burstyn) in Darren Aronofskys Requiem for a Dream. An den Fernseher gefesselt, sind beide Frauen nicht mehr fähig gesellschaftlich zu funktionieren. Was bei Aronofsky appetitlindernde Amphetamine sind, ist bei Fargeat exzessives Kochen und Binge-Eating. Sara träumt davon ein TV-Star zu werden, während Elisabeth mit ihrer perfekteren Version im Late-Night-TV konfrontiert wird. In beiden Filmen wird der Wunsch nach Anerkennung über einen optimierten Körper ausgetragen — in Requiem for a Dream bleibt dieser stets imaginiert, wobei er in The Substance durch Sue physisch real wird. Alter(n) und Ekel werden miteinander verschränkt, der alternde Körper formiert sich als ein Objekt des Schreckens.
Elisabeth versucht Sue auszuschalten, doch ihr Drang nach Anerkennung lässt sie zögern. In einem tödlichen Gewaltakt wird sie von ihrer perfekteren Version schließlich ausgeschaltet. Ohne die Möglichkeit, sich weiterhin selbst zu stabilisieren, beginnt jetzt auch Sues Körper zu zerfallen. In einem verzweifelten Versuch, sich selbst zu retten, erschafft sie eine Verschmelzung ihrer beiden Identitäten, sie kreiert ein buchstäbliches Monster. Auf absurdeste Weise verspürt selbst noch das Monstro Elisasue den Drang, sich vor einem Millionenpublikum zu präsentieren. Eingebettet in eine schleimige Masse von Gedärmen, löst sich Elisabeths Gesicht, in einer letzten Imagination des Ruhms, schließlich für immer auf.
Das Ende von The Substance lässt sich als radikale Metapher für die zerstörerische Kraft einer Angst vor dem Alter(n) lesen. Fargeats Film endet nicht mit Elisabeths romantisierter Rückkehr zur Jugend oder ihrer von Erfolg gekrönten jüngeren Version. Die groteske Transformation der wunderschönen Sue in das Mostro Elisasue verdeutlicht, dass der Kampf um die ewige Selbstoptimierung, und damit einhergehend die ewige Selbstverleugnung, letztlich in einer totalen Zerstörung des Selbst mündet. Optimierung bedeutet nicht losgelöst sein vom System, sondern lediglich mitspielen, solange das System es zulässt. Am Ende hat Elisabeths Drang nach Selbstverwirklichung zwar zu einer Art Befreiung geführt, gleichzeitig jedoch nichts weiter hinterlassen, als einen sternförmigen Pflasterstein auf dem Hollywood Walk of Fame. War es das alles wirklich wert?
The Substance, R.: Coralie Fargeat, US 2024.
Requiem for a Dream, R.: Darren Aronofsky, US 2000.
Statement Millie Bobby Brown, 04. 03. 2025, https://www.instagram.com/milliebobbybrown/reel/DGwZgLXSJuH/?hl=de.