Wir Menschen sind Hühner

Testament, Mirza Begović (2025)

Mit »Testament« stellt Mirza Begović bosnische Denkweisen auf dem jugoslawischen Dorf aus und konstruiert Lebensgeschichten irgendwo zwischen Zigarettenrauch, Kaffeeduft und Alkoholfahne.

Anatomie eines Dorfes

Asad (Zlatan Školjić) verliert 1990 die Hinterlassenschaft des Vaters an den Staat und kann das eigene Haus nur nach dem Zahlen eines Kredits behalten. Mit einer besorgten Mutter und einer hochschwangeren Frau, sowie einem nie beendeten Studium, muss sich Asad in der Industriestadt von Zenica mit ihrem Metallwerk und ihren Kneipen zurechtfinden. Begleitet wird er von Dzevdo (Nusmir Muharemović), seinem besten Freund und einem Schlitzohr, der sich nur mithilfe zwielichtiger Geschäfte durch das Leben schlängelt – und dafür in absehbarer Zeit im Gefängnis landet. Asad muss Geld verdienen und irgendwie wieder zum Studium zugelassen werden, Dzevdo muss vor seiner ,,kurzen Reise von einem Jahr und einem Viertel‘‘ noch heiraten. Begleitet werden diese berührenden Geschichten von den Archetypen des bosnischen Dorfes: Der Postbote (Mirza Musija), der alle Briefe der Bewohner*innen liest, der blinde Dorf-Älteste (Josip Pejaković), der so ziemlich alles und jede*n kritisiert und der Dorf-Imam (Irfan Kasumović), der als Moral des Ortes fungiert, auf den aber nicht wirklich jemand hört.

»Testament« zeigt auf humorvolle Weise, wie die bosnische Denkweise sich dem bosnischen Dorf selbst in den Weg stellt; Halbwissen und daraus resultierende Lästereien, fortbestehende Männlichkeitsbilder, die Traditionen der Ältesten. Nicht zuletzt ist das fehlende Testament eines der Hauptkonflikte des Films. Thematiken, die sich bis heute in Bosnien und durch die Diaspora auf den globalen Westen verteilt überlebt haben. Die Fortsetzung des Films »Amanet« lässt sich also auch als Kommentar auf diesen alten aber bestehenden Gedankenkosmos lesen.

Der liebe Tito – Jugoslawien kurz vorm Nichtsein

Subtil kommentiert der Film den zeitlich bevorstehenden Zerfall des multiethnischen Projekts Jugoslawien. Während Abbildungen Josip Broz Titos noch über den Köpfen der Führungskräfte des Filmes thronen – Metallwerkbesitzer und Unidirektoren – ist der Kopf des Staatenkomplexes 1990, dem Handlungsjahr des Films, bereits seit zehn Jahren tot. Im Fernsehen diskutieren die Nachrichten nicht nur den Mauerfall, sondern auch erste Unruhen in Slowenien, dem ersten Teilstaat Jugoslawiens, dem eine Unabhängigkeitserklärung gelungen ist.

Die Witwe Ane spricht über dem Grab des verstorbenen Mannes über angelegte Essensvorräte, da man über mögliche ,,schwere Zeiten‘‘ spreche. Testament schwebt irgendwo zwischen dem Undefinierten und dem Konkreten – wir erfahren etwa nie was Asad nun eigentlich mal fast zu Ende studiert hat. Oder wie hoch die Schulden sind, mit denen das Haus belastet ist. Auch der plötzlich und nur kurz auftauchende Panzer macht in Zenica zu der Zeit geschichtlich wenig Sinn, hier geht es also eher um Nostalgie und Konstruktion – ein Grundgefühl der ex-jugoslawischen Erinnerungskultur.

 Der Mensch ist wie das Huhn

»Testament« atmet durchwegs jugoslawisch, speziell bosniakisch, und verhält sich dabei als Fallstudie einer sich ständig in Umbrüchen befindenden Nation. Dabei verliert sich der Film gerne in philosophisch anmutende Abhandlungen, etwa, wenn Asad und Dzevdo in den Sternenhimmel staunen und feststellen: Immer gibt es etwas Schlechteres als das Schlechteste, immer gibt es etwas Besseres als das Beste, zumindest sagt man sich das auf der Venus so. Später im Film kommt auch der Vergleich des Menschen mit dem Huhn: Sie picken gerne in fremde Felder, doch lassen sie nichts in das eigene Gebiet hinein. Ein durchaus charmant konstruierter Gedanke in Hinblick auf immer noch andauernde Konflikte von Ethnie und Nationalismus auf den ex-jugoslawischen Gebieten. So frei übersetzt diese nur schwer übertragbaren Sätze sind, so liefern sie eine der Kernaussagen des Films. Das bosnische Gemüt funktioniert durch Vergleiche, Redewendungen und dem Erzählen, sei dies von Gerüchten, Lügen oder Missverständnissen. Ummünzen lässt sich das gut auf ein altes österreichisches Sprichwort: »Beim Reden kumman die Leid zam!«

Weiter
Weiter

Über den Schmerz schwul zu sein